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Julia Tschaikner entwickelt eine Malerei, die zwischen Nähe und Abstraktion oszilliert. Ihre Bildwelten artikulieren sich in Schichten – visuell, formal, inhaltlich. Sie nähert sich dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft über das Medium Bild – nicht als Spiegel, sondern als Gegenüber. Das Sichtbare wird unterlaufen, verschoben, geöffnet. 

Die Kompositionen wirken vordergründig leicht, getragen von transparenter Farbigkeit, freier Linienführung und flüchtigen Figuren. Doch diese Offenheit ist bewusst gesetzt. Die Werke thematisieren Desorientierung, Überforderung, Vereinzelung – Symptome einer visuell überkodierten Gegenwart. 

Zeichnung und Malerei stehen in spannungsreicher Koexistenz: Die Linie unterbricht, betont, irritiert. Die Figur ist nie sicher verortet – sie bleibt ambivalent, angedeutet, flüchtig. Narration entsteht im Fragment. Die Bilder geben nichts Preis, was sich unmittelbar lesen ließe. Vielmehr entstehen Bildräume, die zwischen Darstellung und Andeutung oszillieren – Räume, die Erinnerungen auslösen, aber keine Geschichten erzählen. Der Bildraum bleibt offen, durchlässig, vorläufig.

Tschaikners malerisches Verfahren operiert an der Schnittstelle zwischen dem poetisch Langsamen und dem grafisch Schnellen. Sie kombiniert gestische Malerei mit einer bildsprachlichen Direktheit, die ihre Referenzen in der medialen Gegenwart hat. In dieser Spannung verdichtet sich ein Nachdenken über Zeit – nicht als Verlauf, sondern als bildinterner Zustand. Malerei wird zur Verlangsamung im Angesicht beschleunigter Bilderfahrungen.

Ihre Bildelemente – abstrahierte Figuren, mediale Silhouetten, Zeichen, Bruchstücke – sind keinem stabilen Ursprung verpflichtet. Sie tauchen auf, geraten in Bewegung, kollidieren miteinander. Die Welt der Künstlerin ist durchlässig und durchdrungen von Überlagerungen. 

Der Bildraum, den Tschaikner öffnet, ist kein abgeschlossenes Gefüge. Er lässt sich auf mehreren Ebenen lesen: formal, narrativ, atmosphärisch. Was zunächst als ästhetischer Eindruck erscheint, entwickelt in der Betrachtung eine semantische Tiefe. Die Kompositionen lesen sich wie filmische Sequenzen, wie Montage – strukturiert, aber nicht linear, visuell dicht, aber offen in ihrer Bedeutung.

Tschaikners Malerei denkt Bilder nicht als Endpunkte, sondern als Denkbewegungen. Ihre Werke entziehen sich eindeutigen Lesarten, um jenen Zwischenraum zu eröffnen, in dem Wahrnehmung selbst verhandelbar wird.

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